FR:ESSEN auf Rädern - Eine Fränkin und ein Hesse mit dem Rad in der Welt

Antarktisches Tagebuch

 

8.2.2013 Ushuaia

Liebes Tagebuch

Morgen geht es endlich los...unser großer Antarktistrip. Mit an Bord sind Andrea, Alan, Rene und ich. Wir haben in Ushuaia günstig Last-Minute-Tickets erstehen können. Heute war das Briefing für alle Passagiere. Alle Teilnehmer trafen sich vor einem edlen Hotel. Komisch war nur das Alan, Rene und ich draußen warten mussten. Man bräuchte noch Zeit um alles zu richten. Andrea allerdings wurde eingelassen und prostete uns von der anderen Seite des Fensters mit Champagner zu. Wir standen zwei Stunden im Regen, war wohl ein organisatorischer Fehler, kann ja mal passieren!

 

9.2.2013 Ushuaia

Liebes Tagebuch

Heute war der erste Tag unserer Reise zu der Antarktis. Während die anderen Passagiere und Andrea das Schiff über die Gangway betraten und mit einem Begrüßungstrunk empfangen wurde mußten Alan, Rene und ich durch das brackige Hafenwasser zur Lotsenluke schwimmen und dort hinauf klettern. Man brachte uns dann in unsere Kabine. Der Bootsmann namens Guul, ein tschetschenischer Kriegsveteran übrigens, lief voraus und stieg tiefer und tiefer in die Eingeweide der „Sea Spirit“. Unsere Kabine lag schließlich unter den Manschaftsquartieren und auch unter den Vorratslagern und auch unter den Öltanks. Wir bekamen einen fensterlosen Raum zugewiesen in dem eine alte Petroleumfunzel russischer Bauart traurig vor sich hindämmerte.

Wir hätten doch besser das Kleingedruckte gelesen!

Wo ist eigentlich Andrea???

 

10.2.2013 Drake-Passage

Liebes Tagebuch

Müde und erschöpf von dem gestrigen Tage sind wir alle drei in einen unruhigen Schlaf gefallen. Alan und ich entwickelten innerhalb von Stunden schwere Lungenentzündungen. Das mag daher rühren, daß auf dem Boden unserer Kabine  das Wasser etwa zwanzig Zentimeter hoch steht. Ich schätze die Wassertemperatur auf drei Grad über Null. Bei jedem Rollen des Schiffes schwappen ein paar Liter über unsere stählernen Pritschen.

Nachdem wir vier Stunden mit bloßen Fäusten gegen die verschlossene Kabinentür gehämmert hatten erschien Guul uns erklärte uns die Regeln. Wir hatten eine Reise gebucht, nun ja, wir reisen ja. Wir hatten „All inklusive“ bezahlt, nun ja, später gäbe es auch Essen und Trinken. Im Übrigen sei er, Guul, der Einzige mit dem wir reden dürften. Auf meine besorgte Nachfrage nach dem Befinden meiner geliebten Freundin lächelte Guul nur mild. Vier Stunden später öffnete sich die Tür erneut und Guul warf uns einige schimmelige Brotrinden in die schwappende Bilge.

 

11.2.2013 Drake-Passage

Liebes Tagebuch

Guul muß einen milden Tag haben. Er sagte es sei uns ab jetzt erlaubt jeden Tag vierzehn Minuten während der Abenddämmerung unsere Kabine zu verlassen und an Deck auf und abzulaufen. Natürlich sei es für uns streng verboten das Wort an andere Passagiere oder Crewmitglieder zu richten. Zur Abenddämmerung kam dann die bisher schönste Stunde unserer Überfahrt. Wir durften auf dem Upper-Deck auf und ab laufen und wurden dabei von grölenden Passagieren der ersten Klasse mit gekochten Hummern und Kaviar beworfen. Leider habe ich diese starke Allergie gegen Schalentiere. Wer schon einmal versucht hat Kaviar von dem Boden zu kratzen, kann sich vorstellen wie mühsam es sein kann davon satt zu werden, vor allem wenn man seit Tagen nur an schimmligen Brotrinden nagt.

Keine Spur von Andrea!!!

 

12.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch

Heute war nach Ablaufplan ein Landgang geplant. Alan, Rene und ich waren schon sehr aufgeregt, witternden wir doch die Chance wieder einmal Tageslicht zu sehen. Doch gegen die Mittagszeit wurde die Tür aufgerissen und Guul sagte: „Ihre wollt Lande, ich gebe euche Lande!“. Darauf warf er einen toten Pinguin in die schwappende Bilge. „Den habe ich an Land gefunden, Da habt ich was zum erforschen, zum Spielen und zum Essen!!“.

Alan beschwerte sich lautstark über diese Verletzung unserer  vertraglich zugesicherten Rechte. Mit Erfolg. Guul schlug ihm nämlich sehr erfolgreich mit einem alten Knüppel mehrere tiefe Kerben in die Kopfhaut.

Wo ist Andrea?

 

13.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch

Nach der gestrigen Sonderbehandlung von Guul wollten Alans Kopfwunden einfach nicht aufhören zu bluten. Ich habe die klaffende Schwarte heute mit den abgenagten Pinguinknochen zuklemmen und abdichten können. Alan sieht jetzt zwar aus wie Mork vom Ork aber immerhin hat er aufgehört unsere Bilge vollzubluten.

Später fand Rene in einer seiner Backen eine selbstgeschriebene Nachricht: „Macht euch keine Sorgen, mir geht es gut,  Hab nur einen leichten Sonnenbrand. Andrea“.

Muß die tapfere Seele irgendwie in den Pinguin geschmuggelt haben!

 

14.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch

Heute durften wir endlich an Land. Ich glaube den Zodiacs ist einfach der Sprit ausgegangen. Man setzte je einen von uns in ein Schlauchboot, drückte uns Paddel in die Hand und baute in jedem Boot eine große Trommel auf. Zum Rhythmus der geschlagenen Trommeln mußten wir dann die mit siebzehn Menschen besetzten Boote acht Kilometer an Land rudern. Jeder der gehobenen Passagiere durfte einmal trommeln, und wehe wir folgten nicht dem vorgegebenen Takt. Guul und seine Kumpane ließen schon mal vorsichtshalber die Peitschen in der Luft knallen. Nachts schliefen wir ob der vielen Bewegung und der vielen frischen Luft tief und fest. Leider fiel im Schlaf mein Fuß in das Wasser und fror an der Pritsche fest.

Keine weiteren Nachrichten von Andrea!

 

15.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch

Haben heute zu dritt auf meinen Fuß gepinkelt um diesen von der Pritsche zu lösen. Das muß doch mal ein Ende nehmen, das hat doch mit Urlaub nichts mehr zu tun. Ich sorge mich um Rene. Katatonisch auf seiner Pritsche sitzend murmelt der alte Franzmann die Namen aller französischen roten Rebsorten vor sich hin.

„Abouriou, Aleatico, Alicante Bouschet, Alphonse-Lavallée, Aramon, Arinarnoa, Arrouya, Aubun, Bachet Noir, Barbaroux, Béclan........“. Das hält keiner aus. Alan und ich überlegen ernsthaft ihn in der trüben Bilge zu ertränken. Besser für ihn, besser für uns! Doch die Menschlichkeit siegt an diesem gottverlassenen Ort.

Zur Fütterungszeit fordern Alan und ich lauthals besseres Essen.  Daraufhin saugt Guul an seinen Zähnen und spuckt auf die Brotrinde und sagt: „Hatte heute Fleisch, iste bestimmte noch wase inne Munde gesein“.

Recht hatte er!!!

 

16.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch

Heute schweres Wetter! Wegen unserer gestrigen Impertinenz werden Alan und ich zu „Sonderaufgaben“ eingesetzt. Mit einem Besenstiel bewaffnet lässt man uns an einem Seil auf halber Höhe am Bug des Schiffes hängen. Wir sollen mit dem Stiel die Wellen brechen.  Wir geben unser Bestes aber leider brechen meine Rippen zuerst. Was aber nicht weiter ins Gewicht fällt, da mein linker Fuß schon wieder festgefroren ist. Diesmal aber an der Schiffswand. Immer Ärger mit dem verdammten linken Fuß.

Glaube Andreas Stimme gehört zu haben, gemischt mit den Anfeuerungsrufen aus der ersten Klasse. Vielleicht halluziniere ich???

 

17.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch, ach mein einziger Trost bist doch du in diesen dunklen Stunden

Nach vorherrschender Meinung an Bord deprimiert unserer Anblick die Passagiere der ersten Klasse. Wir hätten so sauertöpfische Minen heißt es. Guul löst dieses Problem auf seine eigene, unwiderstehliche Weise. Mit alten, rostigen Angelhaken durchsticht er unsere Mundwinkel. Dann befestigt er eine Angelschnur an den Haken und zieht unsere Mundwinkel mit einem festen Knoten hinter unseren Köpfen feste in die Höhe. So sind wir zu einem schmerzhaften Dauergrinsen gezwungen.

Bei unserem abendlichen, jetzt sehr heiter anmutenden, Ausgang schien es mir als hätte ich Andrea gesehen. Sie schwebte elfengleich, nur mit einem schwarzen Negligé bekleidet durch das Kapitänsgemach. In der einen Hand ein Glas Champagner in der anderen den Kapitän. Doch kann ich meinem gemarterten Hirn noch Glauben schenken?

 

18.2.2013 Peninsula

Liebes Tagebuch

Meine Kraft reicht kaum noch aus um diese Zeilen zu schreiben. Heute durften wir mit den anderen Passagieren zusammen auf das Oberdeck. Für einen kurzen Moment keimte ein zarter Spross der Hoffnung in mir auf. Sollte unsere Tortur ein Ende haben?

Wie uns Guul erklärte sei heute eine Feuerlöschübung angesetzt. Alle Passagiere müßten zwingend daran teilnehmen, auch wir drei blassen Gestalten aus dem Karzer. Kurz darauf übergoss er Alan und mich mit Benzin und zündete uns an, nur um uns kurz darauf über Bord zu werfen. „Seht ihr wie schnell man hier auf See ein Feuer löschen kann!“. Rene wollte sich dieser Behandlung entziehen und sprang mit einem mannhaften Schrei: „Liberté, Egalité, Fraternité!“ über Bord. Dummerweise wählte er dafür nicht eine Seite des Schiffes sondern das Heck. Dies führte dazu, daß Rene einfach drei Meter tiefer auf das Sonnendeck klatschte. „Keine Pinuin füre diche heut!“ kommentierte Guul das Geschehene.

Zurück in unserer Kabine zogen Alan und ich uns gegenseitig die noch dampfenden Hautfetzen vom Leib um sie um die eingefroren Füße zu wickeln. Man muß manchmal einfach versuchen aus der gegebenen Situation das Beste zu machen!!!

Dann die große Überraschung. Anstelle eines toten Pinguines warf Guul heute Abend einen verknoteten Plastiksack in die Bilge. Weihnachten und Ostern, Pessach und Opferfest an einem Tage. Der rissige Plastikbeutel enthält verschiedene Essensreste aus der ersten Klasse sowie den Inhalt eines Aschenbechers und ein Feuerzeug.

Nach der ersten Euphorie jedoch geraten Alan und Rene über ein Stück Käserinde in einen heftigen Streit. Nur mühsam kann ich die beiden davon abhalten sich gegenseitig zu erwürgen. Da mir Zigarettenpapier fehlt entfache ich mit dem Resttabak der Zigarettenkippen ein kleines Feuer in meiner linken Handfläche und versuche dann den Rauch zu inhalieren,.....köstlich!!!

In der zerdrückten Tomate dann die Nachricht: „Ist so schön hier, habe um eine Woche verlängert!“. Ach die Gute!

 

19.2.2013 Drake-Passage-Rückweg

Andreas gestrige Ankündigung löste, vor allem bei Rene eine fürchterliche Depression aus. Gegen die Mittagszeit versuchte er sich die Pulsadern aufzubeißen. Mit letzter Kraft konnten Alan und ich ihn davon abhalten. Vielleicht war ja Andreas Ankündigung auch nur ein schlechter Scherz gewesen

Alan hat aus einem in der Bilge schwimmenden Korken und seiner Gürtelschnalle einen Kompass gebaut. Gute alte britische Ingenieurskunst!!! Wir konnten feststellen, daß wir wieder Richtung Norden fahren. Zurück nach Südamerika, unsere Stimmung war in einem uns unbekannten Hoch. Selbst Rene löste sich für einen kurzen Moment aus seiner katatonischen Starre und rief: „Merveilleux! Retour au pays!!!“.

Das Wetter wurde wieder schlechter und wir wurden von heftigem Seegang geschüttelt. Um die Passagiere abzulenken und zu unterhalten beschloss man ein kleines Theaterspiel aufzuführen, natürlich mit Rene Alan und mir in den Hauptrollen. Es wurde Moby Dick gegeben. Wegen meiner Tätowierungen spielte ich den Queequeg, Rene war Ahab und Alan brillierte als Ishmael. Um der Sache etwas Würze zu geben wurde die Schlußszene auf offener See gespielt. Rene wurde an ein umgedrehtes, weiß getünchtes Zodiac gebunden und musste dann in den zehn Meter hohen Wellen den gehobenen Passagieren zuwinken. Dann kam Allans und meine große Stunde. Ich wurde in eine morsche Obstkiste gelegt und wurde über Bord geworfen. Natürlich durfte ich mich keinesfalls bewegen, mimte ich ja schließlich einen toten Indianer. Es ist sehr erstaunlich wieviel Salzwasser ein einzelner Mensch schlucken kann!! Als die Obstkiste weit genug vom Schiff entfernt war warf man auch Alan über Bord und die Zuschauer konnten mit ansehen wie er sich mit letzter Kraft den Weg durch die Wellen, hin zu meiner alten Obstkiste bahnte. Das war große Kunst!!!!

Während meiner Dümpelei in der Obstkiste konnte ich Andrea beobachten. Sie lag in dem beheizten Jacuzzi auf Deck fünf und klatschte ab und zu gelangweilt in die Hände, wenn besonders mächtige Wellen über uns brachen. Wen wundert es, Andrea war noch nie eine große Liebhaberin der alten literarischen Klassiker!

 

20.2.2013 Drake-Passage und Ankunft in Ushuaia

Nach einem weiteren Tag in unserer Zelle, abendlicher Ausgang war gestrichen, erreichten wir zur nächtlichen Stunde das südamerikanische Festland. Wir hatten erhebliche Mühe mit dem ausschiffen. Ich war etwas unsicher auf den Beinen, da mir vier meiner linken Zehen fehlten und Alans „Kopf-Pinguinknochen“ verfingen sich mehrmals in den Türrahmen. Rene kroch mehr als das er lief, in seinen Augen ein unbestimmter Zorn. Ich glaube es war gut, wir Guul nicht begegneten. Zudem fehlten uns einige Kleidungsstücke welche wir in der schwappenden Bilge nicht mehr finden konnten.

Ja und wo war Andrea? Als ich schon verzweifelte fuhr ein schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben vor. Eine der Hinteren Fenster öffnete sich und gab den Blick auf Andrea frei. Hatte etwas zugenommen die Gute.

„Also jetzt hört mal gut zu“, sprach sie, „ mit euch kann man sich ja nirgends blicken lassen. Und wie ihr ausseht, unmöglich!!! Ich, für meinen Teil bin zu einer kleinen Karibikkreuzfahrt eingeladen worden und beabsichtige diese Einladung anzunehmen. Ales weitere besprechen wir später, ihr findet mich im Los Cauquenes Resort & Spa , da kann ich mich dann mal ausruhen. Übrigens das mit dem Radfahren schenke ich mir in Zukunft! Ach ja, und wenn ihr mich besuchen kommt dann fragt an der Rezeption nach einem gewissen Guul!“

Matthias Siemon