FR:ESSEN auf Rädern - Eine Fränkin und ein Hesse mit dem Rad in der Welt

Matze denkt über Argentinien

 

 

Gefahren in Argentinien

Ein milder Sommerabend an einem makellosen argentinischen Sandstrand, die Sonne versinkt langsam im Meer. Man hört das leise Stampfen von Pferdehufen. Der Blick wendet sich. Ein großer, prächtiger Rappe galoppiert stolz und edel in unsere Richtung. Auf ihm thront ein Mann, ein argentinischer Mann, Antonios. Er reitet barfüßig und ohne Sattel, seine muskulösen Beine werden bedeckt von einer weissen Leinenhose welche bis kurz unter die Knie aufgeschlagen ist. Sein kräftiger und wohlgeformter, braungebrannter Oberkörper ist unverhüllt und glänzt in der untergehenden Sonne. Wild wehen die langen, tiefschwarzen und lockigen Haare im Wind.

Allmählich nähert sich der Reiter und man erkennt einen dezenten Dreitagebart um das markante, maskuline Kinn.

Der Reiter sitzt ab und schaut Andrea lange und tief in die Augen und sagt mit tiefer sonorer Stimme: „Hola“ .....

Hamburg, 18.08.2012

 

 

Türen

Es gibt so einiges was ein Argentinier besser kann als ein Deutscher. Tango tanzen, Rindfleisch zubereiten (siehe „Matze denkt – Rindfleisch“), improvisieren, Nachtleben, .......

Aber das Konstruieren von Türen gehört ganz sicher nicht in diese Kategorie. Es hat sich hier unter den einheimischen Schreinern noch nicht herum gesprochen, daß sich Türen ab einer gewissen Größe beim Öffnen verwinden. Fehlt den Türen also die nötige Steifigkeit, so führt dies unweigerlich zu einem Verkanten derselben. Binnen kürzester Zeit habe ich mir hier die einheimische Technik zum Öffnen von Türen angeeignet. Man betätigt den Türknauf und öffnet die Tür mit einem beherzten Tritt gegen den unteren Teil der Tür. Solltet ihr also je einen Argentinier zu Besuch haben, so wundert euch bitte nicht wenn dieser gegen eure Türen tritt und übt Nachsicht!!!

Klick............Geschäftsidee: Man sollte dicke Hartgummi-Überzieher für rechte argentinische Schuhe konstruieren. Damit verlängert man die Lebensdauer dieser schön gearbeiteten Lederschuhe um ein vielfaches!

Buenos Aires, 14.9.2012

 

Rindfleisch

Jetzt hab ich in meinem Leben ja so einiges an kurz gebratenem Rindfleisch gegessen und ich versuche das mal zu kategorisieren.

Gestern hatten wir dann in San Telmo (Buenos Aires) unser erstes Assada. Jetzt muss ich die Liste leider noch mal überarbeiten.

Meine Fresse, das können sie wirklich die Argentinier!!! Und wenn ich die Möglichkeit hätte dann würde ich ein paar dieser Steaks in die Welt hinaus schicken um Axel, Andi, Agi, Ste, Rolf, Uwe und den ganzen Rest der Bagage ebenfalls für anderes Fleisch zu versauen.

Buenos Aires, 16.9.2012

 

Rekord

Der uruguayische Gaucho auf dessen Farm wir zelten durften schenkte uns, nebst Orangen, Milch, Zwiebeln und Trinkwasser, fünf Eier. Dieses war der Auftakt zu einem neuen persönlichen Rekord. Am folgenden Tage, nachdem wir die Nacht zeltend in dem Garten eines Ehepaars verbracht hatten welches und herzlichst aufnahm nachdem wir die Kraft unserer Beine in einer dreistündigen Gegenwindorgie aufgebraucht hatten,  schenkte uns dieses Ehepaar weitere fünf hartgekochte Eier als Wegzehrung.

Frischen Mutes gingen wir an unser Tagwerk, nur um eine Stunde später, vom Sturm gepeitscht, vom Regen gepeinigt und von Blitzen umzuckt, mitten auf der Ruta 3 in Uruguay den Mut zu verlieren. Also buckelten wir gesenkten Hauptes zu der nächstliegenden Hazienda um ein weiteres Mal um Wetterasyl zu bitten. Dieses wurde bereitwillig gewährt. Während wir uns also bibbernd vor einem rußigen Holzfeuer zu wärmen versuchten, kam  der Hilfsarbeiter und schenkte uns fröhlich lächelnd zwei Nandueiern. Wir ihr wisst meine Freunde und Leser ist der Schreitvogel Nandu zwar mit dem Strauß verwandt, aber doch von deutlich kleinerem Wuchse. Im Vergleich mit dem gemeinem Huhne jedoch ist der  Nandu ein wahrer Titan unter den Vögeln.

Nadu Ei

Meine bescheidenen ornithologischen und kulinarischen Kenntnisse in einen Topf werfend interpolierte ich das Ei eines Nandus auf etwa 25 Hühnereier (bedenkt, oh meine gebildeten Freunde und Leser, dass es sich hier um eine kubische und nicht um eine quadratische Funktion handelt!!!).

Grob geschätzt wurden uns also fünfundfünfzig Hühnereier an einem Tag geschenkt.......wer kann das toppen?

Wir kamen also mit zwei Nandueiern und zwei Hühnereiern in Bella Union an und gingen alsdann flugs in einem kleinen Restaurant zu Tische. Beide bestellten wir ein Sandevich hamburgese completto, ohne zu wissen, daß es sich dabei um einen monströsen Burger handelte, welcher zusätzlich zu dem Fleischballen auch noch mit zwei Spiegeleiern belegt war.

Jippi, scheiß doch auf das Cholesterin, wer will schon ewig leben!!!!

 

PS.: Während ich diese Zeilen schreibe kocht das eine Nanduei bereits bei der Pensionschefin in der Küche vor sich hin um morgen als Wegzehrung zu dienen (Kochzeit etwa 1h). Aus dem anderen gedenke ich übermorgen so etwa 40 Nandupfannekuchen zu braten.

Matthias Siemon, Bella Union, Uruguay, am 6.10.2012

 

Badweh

Was mich ernsthaft plagt ist nicht etwa Heimweh, auch nicht Freundeweh, wenn auch ab und zu ein wenig. Was mich hier unten im Süden wirklich plagt ist BADWEH. Wer mit diesem Neologismus nichts anfangen kann der war definitiv noch nicht in Südamerika. Ich gebe es freimütig zu, meine Erfahrungen beschränken sich auf Argentinien und auf Uruguay. Aber die bisher gezeigte Konstantz läßt doch sehr stark vermuten, daß es sich hierbei um ein kontinentales Problem handelt.

Es soll hier nicht die Rede von Toiletten sein, nein ganz sicher will ich dieses Thema nicht ausweiten, schon aus Rücksicht auf Adelhöfer Familienmitglieder nicht (Liebe Grüße an A.S.!!!).

Es geht hier vielmehr um konstruktive Rätsel. Das beste Beispiel ist das Bad unserer Pension in Buenos Aires. Ein ganz normales Bad mit Waschbecken, Toilette und sogar einem Bidet. Bis dahin alles toll und gekachelt. Und mitten aus der Wand schaut dann der Duschkopf...nichts drum herum...einfach nur der Duschkopf. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, will man dieses Bad benutzen, muß man es erst leerräumen und zwar komplett. Sämtliche Handtücher, Rasierapparate, Kosmetikartikel oder auch das Toilettenpapier verliert unter einem warmen Duschstrahl jegliche Funktionsfähigkeit.

Oh liebe Freunde und Leser, ihr seid euch in diesem Moment da ihr diese Zeilen lest nicht über die Auswirkungen im Klaren.

Will man duschen, so räumt man zuerst das Badezimmer komplett leer, dann zieht man sich außerhalb des Badezimmers aus und legt ein Handtuch in Reichweite der Badezimmertür. Nachdem man sich gesäubert hat steht man erst noch nackend im besagten Badezimmer um mit einem löchrigen Abzieher das Wasser auf dem Boden in Richtung Abfluß zu dirigieren. Für den nachfolgenden Benutzer des Badezimmers ist der Boden jedoch immer noch so nass, daß er am Besten seine Straßenschuhe anbehält was natürlich innerhalb kürzester Zeit zu einer kompletten Verunreinigung des Wohnraumes führt.

Jetzt mal im Ernst meine hoch geschätzten argentinischen  und uruquayanischen Gastgeber: Was spricht eigentlich gegen Duschvorhänge oder besser noch, gemauerten Duschnischen?

Bella Union, 6.10.2012

 

 

Touristische Ungerechtigkeiten

 Erste Szene: Matthias mit Andrea vor dem geschlossenen Supermarkt

Zweite Szene: Matthias mit Andrea im Restaurant

Dritte Szene: Matthias mit Andrea abermals vor dem geschlossenen Supermarkt

Vierte Szene: Matthias mit Andrea in der Kneipe, im TV läuft Fußball

(Ja die Zeit im TV ist die argentinische denn Sie schauen ja auch ein Spiel der argentinischen Liga. Die Uhr in unserem Etablissement zeigt natürlich die uruguayische Zeit an welche sich aufgrund der Sommerzeit um eine Stunde von der argentinischen Zeit unterscheidet. Anmerkung des Übersetzers)

Danach standen wir nie wieder vor verschlossenen Türen (mehr oder weniger)!!!

Bella Union, 8.10.2012

 

Todesmut und Heinzelmännchen

Andrea ist ein mutiger Mensch, auch wenn sie bei dem uruguayanischen Gewitter die Hosen voll hatte. Manchmal jedoch wächst sie über sich hinaus und vollbringt wahre Heldentaten. Ich habe ja schon einmal über argentinische Badezimmer berichtet aber der echte Prüfstein wartete in Uruguay. Die Besitzer einer kleinen Fernfahrerkneipe luden uns ein unser Zelt in deren Garten aufzubauen und offerierten uns im gleichen Atemzug die Benutzung ihres Badezimmers. Hier gab es etwas Neues. Einen Heizduschkopf welcher direkt auf das Wasserrohr montiert und mit dem Stromnetz verbunden war.

HeizduschkopfSchon immer wohnte mir ein tiefes Misstrauen gegen die Verbindung von Strom und Wasser inne. Aber unter diese Dusche hätte ich mich auch in Deutschland nicht gestellt, selbst mit dem Siegel vom deutschen TÜV, dem GS-Stempel und einem Aufkleber von der Handwerksinnung. Und davon war dieser Duschkopf weit entfernt. Dieses Meisterstück der sanitären Installation war definitiv eigenhändig montiert, was man schon an den offen liegenden Lüsterklemmen erkennen konnte. 

Andrea jedoch, die Aussicht auf einen langsamen feuchten Grilltot mutig in den Wind schlagend, säuberte sich wahrhaftig unter diesem schwingenden Damoklesschwert.

Meine Person aber wartete einen Tag ab in der Hoffnung auf ein besseres Badezimmer, ohne Mörderkopf und dafür mit einem Durchlauferhitzer.

Dieses gab es dann auch in Bella Union welches wir kalt, nass und durchgefroren erreichten. Müde an Körper und Geist stellte ich mich unter die Dusche mit der inständigen Hoffnung der Strahl warmen Wassers würde meine Körperkerntemperatur wieder über die 35 Grad anheben. Und dann pinkelte mir ein Heinzelmännchen auf die Schulter. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als der gedachte Pinkelstrahl eines kleinen Männchens tröpfelte mir auf die Schulter. Zugegeben, das Heinzelmännchen hatte Fieber denn das Wasser war heiss und nicht zu regulieren.

Eine tolle Idee für „Verstehen Sie Spaß“!!! Es ist bestimmt extrem unterhaltsam anzuschauen, wie ein erwachsener nackter Mann versucht das bisschen warme Wasser so auf seinem Körper zu verteilen, dass es den maximalen Wärmeeffekt generiert.

Ich gab auf und suchte mein Heil in den Tiefen meines Daunenschlafsackes!!!!!!

Iguazu, 14.10.2012

 

 

Ruhe und Stille

Was ich bisher sah war Argentinien, Uruguay und ein ganz klein wenig Brasilien. Aber eines kann ich jetzt schon mit absoluter Sicherheit für ganz Lateinamerika behaupten: Nicht, aber auch wirklich Garnichts ist dem Lateinamerikaner so verhasst wie die Abwesenheit von Geräusch, Lärm und Musik!!!

Hat man sein Zelt auf einem Campingplatz errichtet so wird man beobachten, dass jede Famillie die neu auf dem Platz ankommt folgendes Ritual einhält. Ankommen – Platz aussuchen – Auto abstellen – Autotüren und Autofenster öffnen – Autoradio auf maximale Lautstärke mit der individuell bevorzugten Musik in Betrieb setzen.  Dies hat natürlich binnen kürzester Zeit zur Folge, dass man von etwa acht bis zehn Musikquellen gleichzeitig beschallt wird. Wer mich kennt, oh meine lieben Freunde und Leser, der sollte wissen, dass mir die Kunstform der Musik nicht gänzlich fremd und unsympathisch dünkt. Doch es kann auch zu viel sein, vor allem wenn sich aus besagten acht bis zehn Musikquellen nur noch ein Brei aus Salsa, Tango, fieser Disco-mucke und den Top of the Charts in das Ohr bohrt.

Doch damit noch lange nicht genug. Es scheint, als wären jedem Verbrennungsmotor in Südamerika jegliche lautstärkedämpfenden Bauteile ab Werk entfernt worden und dass der Hauptteil der erzeugten Energie in die Hervorbringung von Geräusch fließt. So macht es zumindest den Eindruck wenn man denkt man wird von einer Flotte von  Leopard-Panzern überholt aber dann ist es nur ein dreckiges kleines Männchen, ausgerüstet mit einer Angel und einem Geschwindigkeitüberschuß von circa 4km/h auf seinem Mofa.

Besonders perfide ist der Angriff der LKW-Fahrern auf mein Gehör!!! Kaum ein Mensch hier unten ist so bescheuert und fährt auf den Fernstraßen mit dem Fahrrad. Wenn es denn mal einer macht, dann wird er von den jeweiligen Beobachtern schnell in den Heldenstatus erhoben, was ein gewaltiges Hupkonzert und Händewinken nach sich zieht. Und wer argentinische LKW-Hupen kennt dann weiß er, dass diese mit einer durchschnittlichen Lautstärke von 140 Dezibel ihr Signal zum Besten geben, was ausreicht um den nächsten englischen Kampfhubschrauber einfach vom Himmel zu tröten. Wenn ich also von meinem linken Trommelfell träume dann schleichen sich Assoziationen von Flickenteppichen und zerfetzten Vorhängen ein. Sollte durch bloßen Zufall ein argentinischer Fernfahrer diese Zeilen lesen so bitte ich ihn von Herzen unter seinen Berufskollegen zu verbreiten: „Erst überholen---dann hupen und winken“. Gracias señores!!!!

Und wenn man denkt man hat jetzt einen ruhigen Platz gefunden, ohne Autos, LKWs und ohne Nachbarcamper, so kann man sicher sein, dass es einen Hund gibt welcher, an einer Kette gefesselt, seine einzige Aufgabe darin gefunden, hat am Tage zu schlafen und in der Nacht ohne Unterlass zu bellen.

Es ist ein schwerer evolutionärer Fehler, daß man seine Ohren nicht ebenso wie seine Augen schließen kann!!!!!

Iguazu, 14.10.2012

 

Allgemeine Gedanken über Argentinien

Müll:

Als wir mit dem Zug von Buenos Aires nach Zarate gefahren sind beobachtete ich die allgemein vorherrschende Müllentsorgungspraktik. Und die ist relativ simpel und einfach zu erlernen. Einfach alles aus dem Fenster werfen!!! So sah es dann links und rechts der Gleise auch aus. Gerne hätte ich ausgerechnet wie lange es wohl dauern würde bis der Zug  innerhalb von zwei Mauern aus Müll sich bewegt aber da fehlten mir die genauen Parameter.

Andrea und ich machen uns hier gerne zum Affen wenn wir mit einem gebrauchten Taschentuch nach einem Mülleimer suchen und dabei durch den Unrat ganzer Haushaltungen am Straßenrand stampfen.

Besonders perfide ist aber eine bestimmte Art der Müllentsorgung, welche ich hier unten zum ersten Mal entdeckte. Die argentinische, uruguayische und brasilianische Mutter scheint sehr geschickt darin zu sein ihr noch nicht stubenreines Kind während der Fahrt zu wickeln. Was liegt da näher als die gebrauchte Windel direkt aus dem Autofenster zu entsorgen. Anhand der Aufschlagmuster lässt sich ablesen, daß man dieses gerne bei voller Fahrt zu tun pflegt. In dunklen Stunden male ich mir aus wie es sich wohl anfühlt beim Radfahren so ein Geschoß in den Nacken zu bekommen! Bis jetzt, der heilige Christopherus sei bedankt, ist mir dieses Schicksal erspart geblieben.

Gurtpflicht:

In Deutschland muß man sich beim Autofahren anschnallen und darf nicht mit dem Handy telefonieren. In Argentinien, so mutet es zumindest an, darf man sich nicht anschnallen und muß zwingend telefonieren. Besonders prekär ist die Situation deswegen weil eine Hand des südamerikanischen Fahrzeuglenkers immer und auf jeden Fall mit dem Halten des Matebechers beschäftigt ist. Da bleibt zum Lenken ja nicht mehr viel!!!

Evolution:

Die Evolution arbeitet für den Südamerikaner zu langsam. Dieser braucht dringend eine dritte Hand. Solltet ihr, oh meine geschätzten Freunde und Leser je in die Verlegenheit kommen Geld in Südamerika investieren zu müssen, so kauft einfach Aktien von Thermoskannenherstellern, ihr könnt nicht verlieren!!! Mit einem Durchseuchungsgrad von etwa 80% klemmt diese nämlich beinahe jedem Südamerikaner unter der rechten Achsel. In der linken Hand verweilt der Matebecher und die rechte Hand ist belegt mit dem Halten von alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Handy, Geldbörse, etc.. Will der Argentinier also eine normale Verrichtung wie das in Brand setzen eine Zigarette ausführen, so fehlt eine freie Hand. Er muß also entweder den Matebecher abstellen was aufgrund des häufig konvex geformten Becherbodens schwierig bis unmöglich ist oder er muß die rechte Hand frei bekommen welche allerdings durch die verklemmte Thermoskanne stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist.

Es bleibt dabei, es fehlt eine dritte Hand!!!

Iguazu, 15.10.2012

 

Hieronymus Bosch und Hanibal Lector

Radfahren in Südamerika hat vielerlei Aspekte. Unglaubliche Landschaften, extrem gastfreundliche Menschen aber auch fiesen Schwerverkehr und enge Strassen. Was man aus Deutschland meint gewohnt zu sein entwickelt hier unten in ganz anderen Dimensionen. Kommt der Wind von vorne, so nimmt man zuerst einen dezenten, süßlichen Geruch wahr. Nach zehn bis hundert Metern findet man dann am Straßenrand ein überfahrenes Tier. Ja, ich weiß, Füchse, Hunde,  Katzen, Hasen und jegliches Wild kennt man auch in Deutschland. Aber keine Gürtel- und Stinktiere, Wasch- und Ameisenbären, diverse Schlangenarten, Oppossen(????), Frösche und Vögel jeder Art. Vielleicht rührt es deswegen so ans Herz, weil jedes dieser Tiere in Europa eine Sensation wäre. Am friedlichsten sehen noch die Frösche aus. Warum auch immer liegen diese meistens auf dem Rücken und haben die Hände über dem Bauch gefaltet, ganz wie von einem ehrgeizigen Bestatter hergerichtet. Auf machen Abschnitten mutet es an, als hätte sich Hieronymus Bosch ein Häuschen in dem achten Kreis der Hölle gekauft, direkt an der Straßenecke an der sich die Huren und Schmeichler in ätzendem Kot wälzen müssen, und Hanibal Lector dekorierte den Vorgarten.

Nie vergessen werde ich das Bild von einer überfahrenen und gesprengten Schildkröte aus dessen Leib mich eine blutverschmierte Ratte anschaute. Na, wenn das keine schlechten Träume gibt dann weiß ich es auch nicht!!!!!!!!!!!

Iguazú, 16.10.2012

 

Regeln

Mit der Einhaltung von Regeln nimmt man es in Argentinien nicht so genau. Auf unserer wenig erquicklichen Busfahrt von Iguazú nach Córdoba hielt der Bus in einem Terminal und ich dachte: „Super, bester Zeitpunkt um eine zu rauchen“. Dann aber sah ich das riesige „Rauchen verboten“ Schild. Machte auch Sinn, dann ich diesem Terminal wurden die Busse betankt. Also wendete ich mich wieder meinem Buch zu. Kurz bevor der Bus abfuhr schaute ich erneut aus dem Fenster und sah etwa zehn Menschen, fröhlich rauchend, direkt unter dem Verbotsschild.

Es gibt aber auch Regeln welche strikt einzuhalten sind. Als wir Iguazú verlassen wollten, mussten wir unsere bepackten Fahrräder irgendwie zu der Busstation bringen. Das war eigentlich nicht schwer da wir einfach die Ausfahrt für die Busse benutzten um unsere Räder zu der entsprechenden Haltestelle zu schieben. Dummerweise verletze dieses genau eine dieser „Unbedingt-einhalten Regeln“. Eine Busterminalaufseherin kam in ihrer hellblauen Phantasieuniform im Stechschritt auf mich zu, plusterte sich auf wie eine Amsel im Winter und trötete ohne Unterbrechung in ihre Trillerpfeife. Die kurzen Pfeifpausen nutze jene BTA um zum Einen Luft zu holen und zum Anderen um mich darauf hinzuweisen, dass ich mit meinem etwa 80kg schweres Gespann durch den Haupteingang zu gehen habe. Das Problem war aber nun die nicht umgehbare Treppe welche von dem Haupteingang zur Haltestelle führte. Ausserdem war ich ja nun schon genau da wo ich sein musste um in den Bus einzusteigen. Die BTA holte noch ein weiteres Mal tief Luft und trillerte erneut. Ich wiederum wechselte die Taktik und markierte den doofen Touristen indem ich unablässig mit den Schultern zuckte. Als die Trillerpfeife begann mir in den Ohren zu schmerzen sagte ich zu der BTA: „Wegen mir kannst du den ganzen Tag trillern und tröten bis deine Backen wie bei Dizzy Gilespie nach unten hängen und dein Kopf platzt“. Natürlich auf Deutsch, was unser beider Kommunikation nicht verbesserte aber mir doch ein klein wenig Genugtuung verschaffte.

Glücklicherweise war das Tröten auf der Pfeife auch die einzige Machtbefugnis mit der die kleine emsige Amsel ausgestattet war. So wartete ich einfach bis der Bus einfuhr und als wir Iguazu endlich verliessen hörten wir noch Minuten später den langsam leiser werdende Klang einer einsamen, machtlosen und traurigen Trillerpfeife.

El Bolsón, 26.11.2012

 

Gauchito Gil und Difunta Correa

Nun, velässt man in Argentinien die grösseren Städte und begibt sich auf die Strasse so wird einem eine Eigenheit der hiesigen Transportwege schnell auffallen. Überall entlang der Strassen sind kleine Kapellen aufgebaut und zwar in der Grösse von Puppenhäusern.

Dem aufmerksamen Beobachter fallen drei verschiedene Arten von Kapellen auf. Da sind zum einen kleine Schreine und Kreuze welche mit Namen versehen sind und manchmal auch noch mit Blumen und anderen Beigaben bedacht wurden. Das kennt man aus Deutschland , ein Gedenkstein für einen weiteren Verkehrstoten.

Wirklich auffällig sind aber zwei andere Arten von Kapellchen. Die eine ist rot gestrichen und mit ebenso gefärbten winzigen Fahnen umsäumt, die andere ist eher farblos, dafür aber mit, ungelogen, etwa fünfzig bis mehreren hundert PET-Flaschen umringt. Lange bin ich nicht hinter die Geschichte dieser beiden Altäre, Schreine, Kapellen gekommen.

Doch nun meine geschätzten Leser habe ich durch intensive Recherche das Geheimnis gelüftet.

Lasst mich euch also die Geschichte von Gauchito und Difunta Correa erzählen:

 

Gauchito Gil:

Gauchito war ein argentienischer Landarbeiter und wurde zum Wehrdienst eingezogen(oder war schon eingezogen und desertierte dann, die Legende differiert hier ein wenig). Da dies auch in Argentinien unter Strafe stand floh Gauchito um sich der Strafe zu entziehen. Knapp an Nahrung und Zahlungsmitteln verlegte sich Gill aufs Stehlen. Recht erfolgreich im Beklauen von reichen Grundbesistzern hatte er bald mehr als er zum Überleben brauchte und als echter Held gab er natürlich den Armen etwas ab. Bis dahin ist uns die Geschichte nicht so fremd, abgesehen davon, dass Gauchito keine Strumpfhosen trug. Genauer gesagt ist Gauchito sogar ein recht fesches Kerlchen, wenn man den Abbildungen glauben mag. Man stelle sich einfach einen Pornodarstellen aus den siebziger Jahren vor, gemischt mir Harvey Keitel in „Taxi Driver“. Nun aber nimmt die Geschichte eine Wendung hin zum Spirituellen. Als man Gauchito schließlich festnahm und hinrichten wollte erklärte dieser seinem Henker:“ Dein Sohn ist sehr krank, wenn du mich leben lässt so wird dein Sohn gesunden!“. Aber der pflichtbewusste Henker kam seiner Aufgabe nach und durchschnitt Gauchitos Kehle. Nach einem erfüllten Arbeitstag kam jener Henker nach Hause und sah seinen Sohn schwer krank im Bette liegen. Ungeachtet seiner Tat betete er zu Gauchito Gill und sein Sohn  ward binnen kürzester Zeit wieder gesund. Seit dieser Zeit verehrt man Gauchito als Heiligen und als  Beschützer der Reisenden und der Familie. Ein wirklich gütiger Mensch also der Gauchito Gill und ich hoffe ich habe ihn mit meinem Vergleichen nicht zu arg entzürnt, wenn doch und er lässt Unheil auf meine Nachkommen regnen: Sorry Johannes !!!

 

Difunta Correa:

Nachdem ihr Gatte im argentinische Bürgerkrieg von 1841 von feindlichen Soldaten in die Wüste verschleppt wurde entschied Difunta Correa (bürgerlich: María Antonia Deolinda y Correa) kurzerhand ihrem Mann zu folgen, ungeachtet der Tatsache, dass sie erst vor kurzer Zeit entbunden hatte. Difunta klemmte sich also ihren Säugling unter den Arm und marschierte durch die Wüste. Das dieses keine all zu gute Idee war stellten spätestens die Maultiertreiber fest welche die verdurstete Mutter Tage später in der Wüste fanden. Mein Freund Andi B. wohnhaft in A. an der R. im schönen Kanton Uri würde sinngemäß folgenden Kommentar dazu abgeben: “Fehlende Tourenplanung, unzureichende Ausrüstung und allgemeine Selbstüberschätzung!“. Das Kind aber hatte wie durch ein Wunder überlebt indem es sich an der Brust Difuntas labte.

Um der Verdursteten zu huldigen ist es hier Sitte eine mit Wasser gefüllte PET-Flasche an den jeweiligen Schreinen zu hinterlassen. Auf unserer Fahrt durch die Pampa fragte ich mehr als einmal warum es denn verflucht nochmal nicht Sitte ist der lieben Difuta mit eisgekühlten Bier zu gedenken.

Diese (inoffizielle, nicht von der katholische Kirche unterstützte) Heiligenverehrung ist an den Straßen Argentiniens allgegenwärtig und der Fernfahrer erhofft sich Schutz und Sicherheit von Gauchito und Difunta. Wenn jene Lastwagenchauffeure allerdings ihre Hände zum Steuern des Fahrzeuges und nicht zu Matebecherhalten und zum telefonieren benutzen würden, wäre diese Heiligenanbeterei vielleicht nicht ganz so nötig!!!

El Bolsón, 26.11.2012